Fachinformatiker:innen: Systemintegration als Heldentum der Digitalisierung>

Olaf Brandt, Geschäftsführer von BASYS Brinova, im Gespräch über Cloud-Architekten und Heldentum

Unternehmen suchen händeringend Fachinformatikerinnen und Fachinformatiker für Systemintegration. Das zeigt sich auch im Einstiegsgehalt eines Fachinformatikers. Laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag haben im Jahr 2020 nur 16.300 junge Menschen in Deutschland eine Ausbildung zum Fachinformatiker und zur Fachinformatikerin (Fachrichtung Systemintegration) begonnen. Mehr als dreifach so viele neue Ausbildungsverträge gab es für angehende Kaufleute im Einzelhandel – einen der am schlechtesten bezahlten Ausbildungsberufe in Deutschland. Es liegt also nicht am Geld – aber woran dann? Wir haben unseren Geschäftsführer Olaf Brandt gefragt.

Interviewleitfaden:

  1. Herr Brandt, ist Ihr Beruf so schwer, dass ihn trotz toller Bezahlung keiner machen will?
  2. Aber die IT-Infrastruktur muss doch trotzdem wachsen? Irgendwer muss sich um die IT-Infrastruktur kümmern?
  3. Was macht denn ein Cloud Architect?
  4. Es erwarten uns also neue Berufsbezeichnungen in der IT-Branche?
  5. Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die vorhandene Technik immer neugierige, junge Menschen anlocken wird.
  6. Aber was müssen die Systemhäuser tun, um wieder zu begeistern?
  7. Früher sind die Unternehmen für neue Azubis sogar in den Unterricht gekommen und haben sich dort vorgestellt. Ist es wieder so weit?
  8. Wie macht sich diese angespannte Situation am Arbeitsmarkt denn bemerkbar?
  9. Was sind denn das für Charaktere, suchen Sie da wirklich ganz gezielt auch abseits der Hard Skills?
  10. Was ist denn für Fachinformatiker heute noch besonders wichtig?

Herr Brandt, ist Ihr Beruf so schwer, dass ihn trotz toller Bezahlung keiner machen will?

Der Beruf ist durchaus anspruchsvoll (lacht). Aber das ist nicht der Punkt. Der Fokus der jüngeren Leute, der Azubis und Schulabgänger:innen, richtet sich immer seltener auf die IT-Infrastruktur. Tablet und Smartphone zeigen uns viele Möglichkeiten, ohne jeglichen technischen Kontext. Die Technik hinter dem, was ich im Internet mache, ist sehr abstrakt und bleibt unsichtbar. Viele wollen ja durchaus mit IT und neuen Medien arbeiten, damit umgehen – aber eben nicht die Technik selbst bereitstellen. Software-Häuser hingegen boomen noch immer wie verrückt.

Der Nachwuchs will Apps entwickeln, hat Lust auf Webdesign und Frontend-Arbeit. Das ist alles „vor dem Vorhang“. Die IT dahinter verschwindet aus dem Blick. Das ist eine Entfremdung von den alltäglich genutzten Objekten. Ich glaube, das ist ein Grund für die wenigen neuen IT-Fachkräfte am Markt.

Aber die IT-Infrastruktur muss doch trotzdem wachsen? Irgendwer muss sich um die IT-Infrastruktur kümmern?

Die Zahl der Fachinformatiker:innen für Systemintegration steigt ja auch unterm Strich – nur eben nicht schnell genug. Gleichzeitig ist das, was Fachinformatiker:innen machen, oft nicht direkt sichtbar. Man bemerkt den Bedarf nach einer Fachinformatikerin oder einem Fachinformatiker für Systemintegration erst, wenn etwas nicht funktioniert. Und in den Unternehmen verschiebt sich die Aufgabenstellung für Fachinformatiker:innen. Die kümmern sich um das ERP, die technische Ausstattung und das Rechtemanagement. Oder sie entwickeln sich nach und nach zu „Frontendlern“ (lacht). Dafür gibt es immer mehr spezialisierte Berufe in Systemhäusern wie BASYS, etwa den Cloud-Architect oder die Netzwerk-Spezialist:innen.

Gerade weil diese unerlässliche Arbeit oft im Hintergrund stattfindet, sind Fachinformatiker:innen für mich die Helden der Digitalisierung. Sie arbeiten fast im Verborgenen, aber ohne sie funktioniert nichts.

Was macht denn ein Cloud Architect?

Der plant, entwirft und gestaltet cloud-basierte Lösungen nach einem umfangreichen Beratungsgespräch mit dem Kunden. Ein Cloud Architect ist in der Regel auch ein oder eine Fachinformatiker:in für Systemintegration oder hat eine vergleichbare Qualifikation, allerdings mit viel Berufserfahrung und hoch spezialisiert. Clouds sind inzwischen wie komplexe Gebäude aus Hunderten verschiedenen Funktionen, Features und Einstellungen. Entsprechendende Techniker:innen, oft mit dem Wort „Engineer“ in der Berufsbezeichnung, setzen das dann praktisch um.

Es erwarten uns also neue Berufsbezeichnungen in der IT-Branche?

Wo die Tätigkeiten diverser und komplexer werden, entstehen neue Berufe. Das sind ja nicht nur Bezeichnungen, sondern die Tätigkeiten sind heute wirklich andere als vor fünf Jahren. Man lockt dann nicht nur mit Geld und Firmenwagen, sondern mit einem tollen Titel.

Wir könnten natürlich eine Stelle als „Service-Level-Manager“ ausschreiben, damit jemand im Unternehmen dann Manager heißt. Aber wir haben einen IT-Support-Leiter, der sich um die Service-Level unserer Kunden kümmert. Um eine Stelle nur für den guten Klang auszuschreiben, sind wir zu bodenständig.

Aber das geht doch nicht ewig so weiter, oder? Irgendwann wäre der Engpass an Fachinformatiker:innen für Systemintegration schließlich so groß, dass es zu Problemen kommt.

Mehr als ausbilden können wir nicht. Wir haben derzeit acht Azubis in der Technik und am 01. September kommen wieder neue dazu. Außerdem bieten wir auch Umschülern und Umschülerinnen aus diesem Bereich die Möglichkeit eines Langzeitpraktikums zum Erlernen und Vertiefen der Berufspraxis. Was ich sagen will: Noch ist es so, dass wir Azubis mit unseren Jobangeboten erreichen. Aber wir sind auch in der Pflicht, die Ausbildung interessant zu gestalten, die jungen Menschen abzuholen. Wenn man das gut macht, interessieren sich junge Menschen plötzlich für Datenbanken, Netzwerke und IT-Sicherheit.

Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die vorhandene Technik immer neugierige, junge Menschen anlocken wird. Wie sehen Sie das?

Aber doch nicht einfach so. Dass sich massenhaft junge Leute aus reiner Neugier in Informatik weiterbilden, halte ich für naiv. Es hält sich hartnäckig der Ausspruch: „Wer heute nicht zu coden lernt, ist der Analphabet von morgen“ oder „Programmieren ist die wichtigste Fremdsprache“. Diese Themenbereiche verlagern sich aber zunehmend auch in die Systemintegration. Scripting, PowerShell, Schnittstellen und Automatisierung durchdringen das Berufsbild von Informatiker:innen immer mehr. Aber um eine möglichst breite Masse mit Produkten wie Smartphones, Tablets oder Apps anzusprechen, muss ich das Ganze im Alltag zugänglicher und einfacher machen. Und das passiert auch gerade. Aber die Infrastruktur dahinter ist herausfordernd. Wir sehen sie nur immer weniger.

Aber was müssen die Systemhäuser tun, um wieder zu begeistern?

Man kann natürlich an die Fachhochschulen und Unis herantreten. Wir sagen zum Beispiel immer: Studienabbrecher:innen in der Informatik, denen die Uni zu theoretisch ist, dürfen sich gerne bei uns vorstellen. Wir bieten die Praxis, die Abbrecher:innen haben die Leidenschaft. Aber an der Uni und Fachhochschule haben sich die meisten Menschen bereits für einen Weg entschieden. Genau deshalb bieten wir auch regelmäßig Werkstudenten und Werkstudentinnen eine Position mit viel Praxisbezug an.

Früher sind die Unternehmen für neue Azubis sogar in den Unterricht gekommen und haben sich dort vorgestellt. Ist es wieder so weit?

Würden wir gar keine Azubis mehr kriegen, müssten wir das tun. Aktuell kommen wir klar, wenn es um den ganz jungen Nachwuchs geht. Problematischer ist der Kampf um fertig ausgebildete Fachkräfte. Ich sehe beim ganz jungen Nachwuchs auch eher die Bundesländer in der Pflicht. Informatik an der Schule bedeutet viel zu oft noch Textverarbeitung und Excel. Es gibt fast keine Informatik-Vorbildung in der Schule, auch wenn es mittlerweile immer mehr tolle Projekte, wie z.B. die Initiative zur IT-Berufsorientierung ITMS, gibt.

Ich glaube, es bräuchte am Gymnasium das Wahlpflichtfach „IT-Grundlagen“. Um zu zeigen: Hinter der App ist noch etwas. In Physik lernen wir auch Schaltkreise, obwohl die wenigsten aus der Klasse mal als Elektroniker arbeiten.

Wie macht sich diese angespannte Situation am Arbeitsmarkt denn bemerkbar?

Viele Systemhäuser nutzen externe Recruiter:innen, um von der Konkurrenz aktiv Mitarbeiter:innen abzuwerben. Recruiter:innen sprechen also Mitarbeiter:innen mit einem sicheren, gut bezahlten Arbeitsplatz an. Diese versprechen ein paar Hundert Euro mehr und ein tolles Firmenauto. Doch das ist nicht nur gut für die Mitarbeiter:innen der Branche. Ein Jobwechsel ist immer ein Wechsel ins Ungewisse. Gefällt der neue Job genauso wie der alte? Sind die Kollegen gut? Passen die Vorgesetzten zu mir? Die Kunden? Das bedeutet: Auch zufriedene Mitarbeiter:innen werden von Recruiter:innen ständig unter sanften Druck gesetzt, zu wechseln. Das ist schade und führt zu einer unproduktiven Stellen-Rotation, die auch psychisch belastet. Denn die Arbeitnehmer:innen, die wechseln, werden garantiert zwei Monate später wieder angesprochen. Das haben wir hier bei BASYS Brinova aber gut im Griff.

Was meinen Sie mit gut im Griff?

Dass wir wirklich gut bezahlen und ein ganz bestimmtes Arbeitsklima haben. Den Begriff „IT-Spezialisten“ leben wir. Dazu gehört die Eigenverantwortung, die hier jeder übernimmt. Die Arbeitszeiten sind relativ frei einteilbar. Unbezahlte Überstunden sind unvorstellbar, denn die Arbeit hier gehört honoriert. Aber wie gesagt, dazu braucht es ein gewisses Selbstverständnis. Eine gewisse Art, sehr selbstbewusst und selbstständig zu arbeiten. Ich glaube, deswegen verlieren wir wenig Fachkräfte durch fremde Recruiter:innen.

 

Was sind denn das für Charaktere, suchen Sie da wirklich ganz gezielt auch abseits der Hard Skills?

Ja, wirklich. Im Grunde suchen wir zwei Charaktere, nach denen auch unsere beiden Flügel aufgebaut sind. Die einen sind das technische Projektgeschäft: innovativ, technisch immer auf dem neuesten Stand. Die haben täglich verschiedene neue Herausforderungen, das sind kreative Köpfe. Der andere Flügel ist der Support: analytisch, vorausschauend, absolut zuverlässig, perfekt organisiert, routiniert. Klar, die müssen sich auch technisch weiterbilden. Mit neuen Produkten und Lösungen wird auch der Service ständig konfrontiert. Aber hier stehen mehr die Kund:innen im Vordergrund und die Vermittlung unserer Aufgaben und Prozesse an diese. Kommunizieren können muss aber jeder bei uns. Wir beraten schließlich auch. Das ist Kommunikation pur. Technik kann man erlernen, ein offenes Wesen eher nicht.

 

Was ist denn für Fachinformatiker:innen heute noch besonders wichtig?

Da sind wir wieder bei der Begeisterung. Wenn ich hier über den Flur gehe und jemanden frage, was gerade so ansteht, strahlen die Leute, während sie mir erzählen, was sie hier alles reißen. Solche Leute will ich hier haben, das sind die Helden und Heldinnen, die ihren Beruf mit voller Leidenschaft leben!

 

Herr Brandt, vielen Dank für das Gespräch!

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